Heute morgen habe ich ein Interview mit Zsuzsa Koncz (ungarische Sängerin) gelesen. Darin sagte sie, dass sie an sich wenig Wert darin sieht, sich mit Dingen zu beschäftigen, die sie in der Vergangenheit gemacht hat. Ein Musiker aus ihrer Band hat sie aber darauf aufmerksam gemacht, dass man Werke neu mischen, neu instrumentalisieren kann und damit etwas Neues schaffen. Das hätte sie zu ihrem neuen Album veranlasst. Mich hat das angesprochen. In meinem Regal gibt es ein ganzes Brett nur mit Notizbüchern der letzten Jahre, aber ich schlage sie sehr selten auf. Die Idee des Remix gefiel mir. So habe ich heute eines der Bücher rausgezogen. Darin habe ich eine Zeitungskurzmeldung gefunden über einen Jungen, der aus einem Wanderzirkus geflohen ist. Ich habe den Text aufgesprochen und mit einem Text von heute zusammengemischt. Zufällig lief gerade ein Schlager im Hintergrund, den ich auch noch eingebunden habe. Das ist die Entstehungsgeschichte von spiegel du. Viel Spass beim Hören!
Kategorie: Work in Progress
join my expedition in creating a play.
Was hat mir 2022 gebracht?
In einem Podcast habe ich neulich die Frage gehört, was im vergangenen Jahr den Interviewten dazu gebracht hat, eine Perspektive zu überdenken. Mir hat die Frage auch zu denken gegeben. 2022 hat mir viele neue Einsichten beschert, manchmal ganz nebenbei, manchmal, weil ich auf der Suche nach einer Antwort war.
Ich glaube, dass ich in einer Rezension über Ralf Rothmanns Buch „Die Nacht unterm Schnee“ die Feststellung las, das Autoren am Besten Geschichten erzählen können, die ihre eigenen sind. Mich hat diese Feststellung erleichtert. Denn mir wurde schon die Frage gestellt, ob es therapeutisches Schreiben ist, was ich betreibe. Und manchmal gibt es ja auch den unausgesprochenen Vorwurf des Seelenstriptease an Autoren.
Per Zufall fand ich auf Facebook (ja, da gibt es auch manchmal Einsichten, trotz allem Quark) einen Post einer Lehrerin für kreatives Schreiben, die ermutigend in etwa Folgendes sagte: Schreiben Sie. Ob es andere lesen werden, ist zweitranging. Aber die Dinge, die Sie durch das Schreiben entdecken, werden die Mühe wert sein.
2022 habe ich überhaupt erst wieder angefangen zu schreiben, nach Jahren der Pause. Es sind Gedichte entstanden, die Rohfassung eines Theaterstücks (die Arbeit geht weiter) und dieser Blog. Ich bin gespannt, was als Nächstes kommt.
Weitermachen
Nicolas Helene, der Laden ist dicht! Endlich werde ich abends bei dir sein, mein Engel! Helene Das ist eine Überraschung. Nicolas Urlaub zu Hause. Endlich werde ich genug Zeit für alles haben. Helene Bin ich alles? Nicolas Du bist großartig. Helene Du auch. Nicolas Jetzt muss ich mal was grundlegend anders machen. Das machen, was ich immer schon machen wollte. Die Bar ist zu, friss oder stirb, aber ich werde jetzt... Helene Schwimmen? Nicolas Mach dich nicht lustig. Helene Entschuldige. Nicolas Ich werde mich jetzt endlich der Kunst widmen. Helene Ausgerechnet jetzt? Nicolas Pst. Hörst du? Helene Was soll ich hören? Nicolas Nichts, eben, nichts hören. Stille. Helene Ich höre nichts. Nicolas Perfekt! Stille Und? Nicolas Das ist total dicht. Es ist nicht nichts, was du hörst. Ich höre alle Möglichkeiten, die aus dem Nichts werden können. So muss es für Haydn gewesen sein, was Haydn gehört hat, als er die Schöpfung schrieb. Helene Haydn? Nicolas Hab ich mal gelesen. Helene Ach so. Nicolas Ein großes Einatmen. Stille. Nicolas Das ist doch Wahnsinn. Ich spüre alles, was da in dem Nichts angelegt ist. Helene Wahnsinn. Nicolas Nein, nein. Ich spüre die Dichte. Schau mal geradeaus. Was siehst du? Helene Eine Wand. Nicolas Und vor der Wand? Helene Nichts. Nicolas Und das ist eben trügerisch. Weil die Luft, die zwischen dir und der Wand ist, ist ja auch. Aber du siehst sie nicht. Helene Sie ist ja auch durchsichtig. Nicolas Sagst du. Ich sage: Unsere Augen sind nicht gut genug. Helene lacht. Nicolas Du nennst das die Luft nichts, weil du sie nicht siehst. Dabei lebst du genau davon, dass du sie einatmen kannst. Helene Und aus. Nicolas Ja, ja, klar.
Eine begonnenes Stück zu überarbeiten finde ich schwieriger als mit einer leeren Seite anzufangen. Wenn ich ein Stück mit einem Gebäude vergleiche, dann ist jeder Satz ein Baustein. Aber jeder Baustein hat eine andere Form. Deswegen kann man die Sätze nicht beliebig tauschen und an der gleichen Stelle rauskommen. Bei Nicolas und Helene habe ich einen neuen Anfang (ein neues Fundament) gewählt. Ich will zeigen, was die beiden aneinander haben, ehe der Zerfall einsetzt. Die Herausforderung ist nun, den hoffnungsfrohen Anfang mit der Endzeitstimmung der Rohfassung zusammen zu bekommen.
Tipping points 2 – escapes and saving strategies
After writing about the tipping point, where a personal principle for success turns into a self-limitation, I could not help reflecting on the things we do, to avoid realizing that we are at a tipping point. The first strategy is to allow exeptions from the rule. To take a simple example, the principle "I don't eat sweets". This may be a very helpful principle for eating healthy or keeping weight. But let`s imagine a hike on which your healthy snack stayed safely at home. The only thing your hiking partner has to offer is a bar of chocolate. Trivial? Maybe. But the point is not the single exeption. The point is that over time you may get so many exeptions to the rule that the principle gets to be only an abstract ideal, whereas your everyday behavior is directed by the exeptions. Storytellers love this discrepency, normal people hate it. The second strategy is to escape from having to examining a principle. Let`s take "the customer is always right". But what if your customer tells you that your company will not make it to market with the new technology you are developing? The simplest escape is to drive to the conversation to safer grounds (escape). But what if your customer insists? You may start having second thoughts, you may be wondering, how much the customer really knows about the new technology. All the while you may have discussed the weather, melting glaciers, cats on trees and god knows what, because you are trying to save your customer and yourself from the fact that - "customers can be awfully wrong". If you don't have sweaty palms after reading through this, congratulations. Either you are pretty tolerant for cognitive dissonance (this is what psychologists call it, when there is a gap between your ideal and the real situation). Or you are experienced enough to navigate between several prinicples. If you feel a little uncomfortable, great. No, seriously. In storytellers' words you are feeling tension. And a story without tension is - no story. What I wanted to illustrate here is that principles (self-beliefs), tipping points and strategies to avoid realizing tipping points are the true material for storytellers. So, if you are going through a difficult situation, reassure yourself that you will be having a story to tell afterwards. And don't give up, just because giving up is the easiest way!
Nach der Rohfassung
Vor etwa drei Wochen habe ich die erste Rohfassung des Stücks fertig geschrieben. Nun kommt der Teil, den ich schwieriger finde als die Rohfassung zu schreiben. Jetzt geht es darum, das, was mich persönlich an dem Stoff interessiert hat, für andere zugänglich zu machen. Durch die Fragen einiger Erstleser bin ich zur zentralen Frage gelangt, was ich eigentlich erzählen will. Es geht mir darum, zwei persönliche Entwicklungen in und durch die Extrem-situation lock-down zu zeigen. Nicolas will viel und scheitert an seinen eigenen Ansprüchen. Helene stellt die eignen Ansprüche hinten an, weil sie Nicolas Träume mitträumt, und wird auf sich selbst zurück geworfen. Und es geht mir darum, wie Zwang und Gewalt sich in eine Beziehung einschleichen.
Rohfassung und Streichen
Es ist geschafft - die Rohfassung des Stücks steht. Helene kommt zum Elysium und zu ihrer eigenen Version von Himmel und Erde. Diesmal habe ich mich bislang bewusst davon abgehalten, fast so viel aus dem entstandenen Text zu streichen, wie ich hinzufüge. Gleich viel zu streichn habe ich zum Beispiel bei Ohne Mond getan und jetzt erst festgestellt, dass ich damit bei einem ziemlich minimalistischen Text gelandet bin, der den Lesern nicht viel außerhalb des Dialogs bietet. Natürlich habe ich auch diesmal Textstellen gestrichen, die mir selbst langweilig waren oder die zu sehr nach Papier klangen. Den großen Rotstift habe ich aber nicht angesetzt, und das hat gut getan. Ich glaube, Streichen ist ein Vorgang, der bereits zum Text Verwenden gehört. Man setzt die prüfende Brille auf und wägt ab. Um das Spielfeld aufzubauen, hilft dieser Blick mir nur bedingt. Mit dem Fertigstellen der Rohfassung ist es jetzt Zeit, vom Aufbauen zum Prüfen zu wandern.
Helene Und dann lachen wir und lehnen uns zurück und schauen in den unendlichen Sternenhimmel, den wir von hier gar nicht sehen können, unser Himmelreich. Es macht alles Sinn. Der Himmel, über uns gespannt von Horizont zu Horizont, ist unser Zelt. Wir schauen uns eine Sternschnuppe aus, die Feuchtigkeit der Nacht auf unseren Lippen wie ein Versprechen, Mondwasserklatschen im Wellengeschwups. Chorführerin Schwupps. Helene Und dann sind wir bei der Galerie der Engel. Wir gehen hindurch. Einer wird sich uns an die Fersen heften. Bete dass es ein Guter ist. Wer das sehen könnte. Am Ende bleibt doch das Zwielicht der Dämmerung und ein Geschmack von weiss. Nein, mit Kitsch hat das jetzt mal nichts zu tun. Chorführerin Wir sind da.
Warum Regenwürmer?
Ein Probeleser des Stückes fragte mich, wie ich auf Regenwürmer gekommen sei. Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Aber ich habe gute Gründe gefunden, die Regenwürmer im Text zu behalten.
Helene Und was essen wir jetzt? Nicolas versucht zu antworten. Helene läuft auf und ab. Dabei verteilt sie Spuren der übergekochten Weizenkörner. Nicolas Regenwürmer. Helene Nie im Leben. Nicolas Dann schlag etwas anderes vor. Helene So schlimm ist es auch noch gar nicht. Ich halte das schon aus. Nicolas Wir könnten sie auf dem Lampenschirm rösten. Helene Nein. Nicolas Dann mach ich das eben alleine. Stille. Helene Wir waren Vegetarier. Nicolas Wie kommst du darauf? Helene Wir können keine Regenwürmer essen. Nicolas Ich war gegen Massentierhaltung. Regenwürmer aus Massen- tierhaltung gibt es nicht. Helene Musst Du immer recht haben? (...)
Eigenleben
Fast so wichtig wie das Schreiben, ist das Zuhören. Ich verbringe viel Zeit damit, mir eine Liste von Musiktiteln zusammenzustellen und diese wieder und wieder anzuhören. Manche Musikstücke helfen mir, die Perspektiven von den Protagonisten zu erspüren. Manche helfen mir mit dem Rythmus oder den Übergängen. Das Schöne daran ist auch, dass ich mich auch dann mit dem Stück beschäftigen kann, wenn es meine Zeit eigentlich nicht erlaubt. Die Musik nimmt mich nicht kognitiv in Anspruch, sondern unterfüttert die Emotionen.
Helene Und dann kannst du plötzlich nicht mehr anders. Als ob alles Verständnis auf einmal aufgebraucht wäre. Du weisst selbst nicht, wie das sein kann. Wo ist deine Würde geblieben? Du siehst, dass all das, was du hingenommen hast, weil du dachtest, dass es schon werden wird, dass man Geduld braucht, dass es einen Sinn hat, das auszuhalten, dass das eine einzige Lüge war. Mehr noch. Dass die Luft zu knapp zum Atmen wird für zwei Menschen, die jeweils die Lufthoheit über den Raum beanspruchen, der einmal gemeinsam war. Der Misthaufen, der Sammlung oder Kunst oder Teil einer Installation genannt wurde, wird wieder zum Misthaufen. (...) Es kratzt dich im Hals. Du räusperst dich. Und dann passiert, womit du nicht gerechnet hast. Der andere schnappt nach dir. Wegen einem Räuspern. Mit Worten schnappt er nach dir. Du darfst dich nicht einmal Räuspern. Du willst beschwichtigen, zu lächerlich ist die Sachlage, aber deine Worte kommen lauter aus deinem Mund, als du es willst. Der andere schreit. Du schreist. Weil du nicht gehört wirst, weil es doch, verdammt noch mal, nicht um dem Misthaufen geht, sondern darum, dass du hier einfach unterlegen bist, dass du nicht ausreden kannst, dass du nicht die richtigen Worte findest, ja, die Worte, die du mühselig zusammengeklaubt hast, werden vom anderen in der Luft zerfetzt und es prasseln auf dich Wortsalven und du kommst gegen das Trommelfeuer der fremden Logik nicht an und findest in den eigenen Worten keine Deckung. Und dann schmeißt du etwas auf den Boden. Ein Zeichen nur, dein Widerstand, um nicht überrannt zu werden. Aber die Wortsalven werden heftiger. Du greifst den nächsten Gegenstand und schleuderst sie dem anderen an den Kopf. Knapp neben den Kopf. Du erwartest Ruhe, damit du dich endlich erklären kannst, aber stattdessen ist der andere zum Nahkampf übergegangen. Sein Mittel der Wahl ist ein Bajonett mit scharfer Lanze oben dran und damit rückt er dir auf den Leib. Du siehst die Klinge vor deinem Gesicht und rastest aus. Du wühlst dich durch alles, was du finden kannst, suchst Deckung, suchst Halt, Trost in dieser Unmöglichkeit, in der du doch eigentlich gar nicht sein kannst, aber der andere kennt dich zu gut, er hat deine Fährte gewittert, folgt dir auf dem Fuss, jeder Winkel ist nur ein Hinterhalt und du, du, du kannst nicht anders, du haust ihm das Bajonett aus der Hand und da kommst du zur Besinnung, weil deine Haut auf seine Haut trifft, aber da ist es zu spät. Du schwörst, dass es dir leid tut, dass du das nicht wolltest, aber du hast den Höllenhund im anderen geweckt und er springt dir entgegen und du hältst dir den eigenen Kopf, damit er in dieser Schlacht nicht davon getragen wird.
Worum geht es?
Wenn ich sage, ich schreibe an einem Stück, kommt unweigerlich die Frage, worum es geht. Ich zucke dann innerlich ein bisschen zusammen. Wenn ich von vornherein genau wüsste, worum es geht, müsste ich mich ja nicht durch den Schreibprozess quälen. Um den Frager nicht leer ausgehen zu lassen ohne mich zu weit hinauszulassen, nenne ich dann den Arbeitstitel. Der heisst für die Geschichte von Helene und Nicolas Der Zerfall des Wirs oder Ausflug zum Rand der Gesellschaft. Der Arbeitstitel ist so etwas wie mein persönlicher Kompass auf dieser Reise. Das ist sein Zweck. Der endgültige Titel, mit dem ich mich am Ende beschäftigen muss, hat einen anderen Zweck. Der endgültige Titel richtet sich an das Publikum und soll dessen Neugier reizen. Aber nochmal zurück zur Frage: Worum geht es? Natürlich hatte ich in der Vergangenheit auch mal die Vorstellung, dass man sich eine Handlung ausdenkt, und dann diese ausgestaltet. Das mag für manchen Autor auch funktionieren. Für mich funktioniert es nicht. Ich vergleiche das mal mit dem Malen: manche finden Ausmalbilder meditativ. Ich war darin noch nie besonders gut und irgendwann kommt unweigerlich der Punkt, an dem ich mich langweile und bleiben lasse. Deswegen bitte ich den Frager immer um Nachsicht, dass ich das mit der Handlung nicht so genau beantworten kann.
Verankern der Geschichte – der Chor
Es gibt gleich mehrere Gründe, warum ich mich für einen Chor in der Geschichte von Nicolas und Helene entschieden habe. Einerseits kann ich so die Umstände des Geschehens porträtieren (ein extremer Lock-down). Andererseits kann ich so die Mehrheitsgesellschaft mit einbeziehen. Diese nimmt nur begrenzt wahr, was bei einzelnen Mitgliedern vorgeht, aber durchläuft dadurch auch als Gruppe eine Veränderung. Anfangs sehr aufmerksam und einsatzbereit, wird der Chor mit der Zeit immer lethargischer. Ich vermute, dass es nach der Lethargie noch weitergeht, aber so weit bin ich noch nicht. Der nebenstehende Ausschnitt findet sich aktuell etwas nach der ersten Hälfte der Geschichte.
Das Licht glimmt herunter. Ein Geräusch wie Regen setzt ein. Klorollen fallen auf die Bühne. Die Chormitglieder springen auf und horten Klorollen. Sie bauen sich Rettungsringe und Taucherbrillen aus Klorollen. Chor Die Welle setzt an. Wir sollten Täler zählen auf dem Weg zum nächsten Tauchgang. Pocht das Herz, man atmet sich aus, atmet ein den Mundgeruch des eigenen Seins, kann nicht sein, nicht wir stinken hier, wir ersticken, gefiltert die Luft, die Laute leise, nein, Gerüche kreisen zwischen Mund und Nase, Nase und Mund, Kondenswasser tropft auf das Kinn, kein Nasensekret, kein Alarm gegeben, zu oft, zu schnell, zu langsam, das Herz pumpt sich weg, löffelt Sand, baggert Schaufelgraben, nein, Sandschaufeln, Schaufelhaufen, den Berg aufhaufen. Hol die Monstranz raus, Weihwasser auch, wir haben alles zum Leichenschmaus unserer selbst, wer wir einst waren, kehrt nicht zurück. Die Stunde schlägt schwer an, das Pendel zerdrückt die Hoffnung auf Freiheit im Minutenglück. Wir wissen selbst nicht, was wir sagen, was wir sagen sollen, nein, wissen wir nicht. Doch wir geben den Ton an, laut und klar. Kammerton A.