Worum geht es?

Wenn ich sage, ich schreibe an einem Stück, kommt unweigerlich die Frage, worum es geht. Ich zucke dann innerlich ein bisschen zusammen. Wenn ich von vornherein genau wüsste, worum es geht, müsste ich mich ja nicht durch den Schreibprozess quälen. 

Um den Frager nicht leer ausgehen zu lassen ohne mich zu weit hinauszulassen, nenne ich dann den Arbeitstitel. Der heisst für die Geschichte von Helene und Nicolas Der Zerfall des Wirs oder Ausflug zum Rand der Gesellschaft. 

Der Arbeitstitel ist so etwas wie mein persönlicher Kompass auf dieser Reise. Das ist sein Zweck. Der endgültige Titel, mit dem ich mich am Ende beschäftigen muss, hat einen anderen Zweck. Der endgültige Titel richtet sich an das Publikum und soll dessen Neugier reizen.

Aber nochmal zurück zur Frage: Worum geht es? Natürlich hatte ich in der Vergangenheit auch mal die Vorstellung, dass man sich eine Handlung ausdenkt, und dann diese ausgestaltet. Das mag für manchen Autor auch funktionieren. Für mich funktioniert es nicht. Ich vergleiche das mal mit dem Malen: manche finden Ausmalbilder meditativ. Ich war darin noch nie besonders gut und irgendwann kommt unweigerlich der Punkt, an dem ich mich langweile und bleiben lasse. Deswegen bitte ich den Frager immer um Nachsicht, dass ich das mit der Handlung nicht so genau beantworten kann.
Bei einer Baustelle fragt selten jemand, worum es geht. Was gebaut wird, fragt man schon eher.

Gold

so wie die blume
weiß, klein, zart
in der asphaltritze
schwarz, kalt, hart

so wie das sternenlicht
durch dunkle wolken bricht

so wie der mond erhellt
was einem nachts alles fehl

so kehre ich ein in die stille
und finde im schmerz die fülle

Status

My colleagues at work as well as former training participants have found the concept of status insightful to understand some interactions they were struggeling with. 

Status is used a lot in theatre. It may overlap with hierarchy, but it is not the same.
So what do I mean with status? It is a very volatile position of perceived power in a given situation. Typically, we differentiate between high status and low status. However, this differentiation may be misleading, as the high and low are never fixed, but always in relation to one another. Maybe it would be more accurate to talk of higher and lower status, but the convention runs differently.
In a high status, the person will typically use more space, speak longer, louder, or to the very extreme, is not afraid of pauses or staring others down. In a low status, the person will rather stay in the background, speak less, avoid eye-contact, may use a lot of fillers or make themselves physically smaller, by crossing legs, crossing arms, bending the head. I suppose you have some pictures in your head, as you read this. 
The benefit of the higher status is more power, the benefit of a lower status is more sympathy and shelter.

The tricky thing is that status gets negotiated non-verbally. This is why people may fight, while the argument is not at all about the subject they are talking about. Imagine two people, who each want to assume a higher status over the other. But it goes the other way around as well, which is typically less obvious. Two people may compete over the lower status. Think of an everyday dialogue in front of a door which goes like "You go first", "No, you go first". 

In theatre, status can be used to create tension. The audience tends to hold the breath, when hierarchy and status do not match, for example with the king, who behaves like a servant and the servant, who behaves like a king. At some point, this tension needs to be resolved, if you don't want your audience to get frustrated. The other element of tension with status, is when the status of a person switches. This means that the person in the high-status gets to be in the low status and vice versa. The example to the right highlights such a situation.

Recently, I have found some research on the topic, and I am glad that science is now onto this as well. One piece of research said, that status negotiation is not unique to human beings, but a lot of animals negotiate their status - who gets to eat first, who is the leader of the group etc. True.

Why do colleagues find this so helpful? Firstly it sheds light on some interactions they find difficult to understand. Secondly, as they become conscious of this dynamic, a space for cognitive decision opens up: Do I take part in this? Am I OK to leave this position to the other? If not, what can I do to assume my position? Some people said that being aware of this concept helped them to detach themselves from the expectation to react in a certain way. They started to look at it as a kind of game or dance and were able to vary their own behavior.
Status switch:

About a year ago, I was sitting at a bus stop. I was exhausted. For the last ten days, I had been taking my son to kindergarten to get him settled in. He did not take it particularly well and I found the level of noise at the kindergarten demanding. While I have always been appreciative of the work of nursery and primary teachers, after those days, I was bowing my head to them.
A man, a drunkard, walked up to me and asked for money. (Note on the status: him low status, me high status). I was so exhausted, I could not have given anything to to anybody, so I said no. The man looked me up and down and paused for a moment. I expected him to leave, but he did not. (note: this is the moment the status switched)
Then he said with some pride in his voice: "At least, I have managed to get drunk today". It was, as if he was sharing his key to success with me. (Note on the status: him high status, me low status). Of course, getting actually drunk, is not an easy task for an alcoholic.
He smiled at me and trailed off. And I felt better, too. Because I gave him something, I could not have given with money. I gave him the opportunity to feel good about himself. 

Verankern der Geschichte – der Chor

Es gibt gleich mehrere Gründe, warum ich mich für einen Chor in der Geschichte von Nicolas und Helene entschieden habe. Einerseits kann ich so die Umstände des Geschehens porträtieren (ein extremer Lock-down). Andererseits kann ich so die Mehrheitsgesellschaft mit einbeziehen. Diese nimmt nur begrenzt wahr, was bei einzelnen Mitgliedern vorgeht, aber durchläuft dadurch auch als Gruppe eine Veränderung. Anfangs sehr aufmerksam und einsatzbereit, wird der Chor mit der Zeit immer lethargischer. Ich vermute, dass es nach der Lethargie noch weitergeht, aber so weit bin ich noch nicht.
Der nebenstehende Ausschnitt findet sich aktuell etwas nach der ersten Hälfte der Geschichte.
Das Licht glimmt herunter. Ein Geräusch wie Regen setzt ein. Klorollen fallen auf die Bühne. Die Chormitglieder springen auf und horten Klorollen. Sie bauen sich Rettungsringe und Taucherbrillen aus Klorollen.
Chor		Die Welle setzt an. Wir sollten Täler zählen 
                        auf dem Weg zum nächsten Tauchgang. 
                        Pocht das Herz, man atmet sich aus, atmet 
                        ein den Mundgeruch des eigenen Seins, kann 
                        nicht sein, nicht wir stinken hier, wir 
                        ersticken, gefiltert die Luft, die Laute leise, 
                        nein, Gerüche kreisen zwischen Mund und 
                        Nase, Nase und Mund, Kondenswasser tropft 
                        auf das Kinn, kein Nasensekret, kein Alarm
                        gegeben, zu oft, zu schnell, zu langsam, das
                        Herz pumpt sich weg, löffelt Sand, baggert
                        Schaufelgraben, nein, Sandschaufeln, 
                        Schaufelhaufen, den Berg aufhaufen. Hol die 
                        Monstranz raus, Weihwasser auch, wir haben    
                        alles zum Leichenschmaus unserer selbst, wer 
                        wir einst waren, kehrt nicht zurück. Die 
                        Stunde schlägt schwer an, das Pendel 
                        zerdrückt die Hoffnung auf Freiheit im 
                        Minutenglück. Wir wissen selbst nicht, was 
                        wir sagen, was wir sagen sollen, nein, wissen 
                        wir nicht. Doch wir geben den Ton an, laut 
                        und klar. Kammerton A.

Die verflixte Zahl 3

(...)
Nicolas		Was zählst du gerade?
Helene		Tu ich das?
Nicolas		Gib es doch zu.
Helene		Nein. Ich glaube nicht, dass ich zähle.
Nicolas		Es macht mich wahnsinnig, wenn du zählst.
Helene		Aber wenn ich es gar nicht tue?
Nicolas		Dann ist es ja gut!
Stille.
Helene		Ich bin müde.
Nicolas		Dann leg dich hin.
Helene		Kannst du...
Nicolas		Ich muss nachdenken.
Helene		Gute Nacht.
Helene zieht eine Matratze aus dem Haufen mit Matratzen und legt sie obendrauf über das leere Geschirr des Tages. Helene legt sich drauf.
Helene		Mach nicht zu lange.
Nicolas		Nein, ich komme bald.
Helene		Gute Nacht.

II. Unsere Albträume wachen über uns.
Das Licht geht aus, ausser bei Nicolas, der bei einer Schreibtischlampe sitzt. Die Chormitglieder machen einzeln Glühlampen an.
Chor:		Wir sehen das Licht. Es brennt die ganze      
                         Nacht. Durchs Fenster sehen wir dich. Wir        
                         wünschten, du hieltest Wacht gegen die 
                         Geisterstimmen der Nacht. Aber du scheinst 
                         taub. Du brütest vor dich hin. Was quält 
                         dich?
Chorführerin:    Wir wissen es doch.
Chor:		Aus Nähe wird Enge, Beklemmung, die Luft 
                        wird dünn. Zu oft haben wir das schon 
                        gesehen. Schau auf, wir sind hier, wir helfen 
                        dir! 
Chorführerin:    Zu spät.
Chor:		Verrennt sich, verfängt sich im Spinnennetz 
                        seiner Gedanken, laicht sich ein, wie leicht es 
                        wäre, sich zu befreien, wenn er mit anderen, 
                        mit uns – nur ein Gespräch, Nachbar! Nein, er 
                        leckt seine Wunden, zählt seine Stunden, 
                        fragt sich, wann diese Art Leben eigentlich 
                        begann.
(...)
III. Solange man noch weg kann
Helene richtet sich auf der Matratze auf.
Helene		Hast du wirklich Regenwürmer gegessen?
Nicolas		Noch nicht.
Helene		Da bin ich froh.
Nicolas		Ich kann nicht mehr klar denken.
Helene		Warme Gedanken wären fein.
Im Sprichwort sagt man "Aller guten Dinge sind drei". Im Theater gilt diese Regel, um etwas zu etablieren. Wenn etwas einmal geschieht, dann gibt es keine Erwartungen. Wenn aber etwas zwei Mal geschieht, wartet das Publikum darauf, dass es noch ein drittes Mal geschieht. Bei zwei darf ich also nicht stehen bleiben.
An dem Text neben dran legt sich Helene zum ersten Mal schlafen. Ich würde sie gerne nochmals schlafen lassen (später), weil mir der Morgen als Anlauf für einen neuen Verständigungsversuch so gut gefällt. Allerdings kämpfe ich mit dem Gesetz der drei. Wenn ich Helene nochmal schlafen schicke, muss ich sie auch ein drittes Mal schlafen schicken, sonst wackelt die Architektur. Wenn ich sie aber dreimal schlafen schicke, kommt mir das vor, als ob ich eine Ehrenrunde einlege. Wahrscheinlich wird die Gute nur einmal schlafen dürfen.

Protagonisten und Katalysatoren

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob meine Unterscheidung so stichhaltig ist, aber in meinem Denken gibt es Figuren, die eine Veränderung durchlaufen. Man kann sie auch Helden oder Protagonisten nennen. Und dann gibt es Katalysatoren, also solche Figuren, die eine Veränderung beschleunigen, aber selbst  keine nennenswerte Veränderung durchmachen. Übrigens meine ich mit Veränderung einen emotional aufgeladenen Übergang aus einer Not in einen neuen Balance-Zustand der Hauptfigur(en).

Eigentlich wollte die Geschichte von Helene und Nicolas ohne Katalysatoren erzählen. Es kann aber sein, dass das zu undramatisch lange dauert. Deswegen denke ich darüber nach, sie wirklich Besuch bekommen zu lassen. Aktuell heisst der Besuch Michelle und ist eine Studienkollegin. (Bitte nicht enttäuscht sein, wenn sich das noch ändert.)
(...)
Michelle   Ihr wohnt ja geil!
Helene     Das ist Teil von Nicolas' Installation.
Michelle   Klar. Nick, altes Haus, immer noch 
                künstlerisch unterwegs?
Nicolas     Was machst du hier?
Michelle   Mein Ex hat mich rausgeschmissen.
Helene     Wie hast du es an den Kontrollen 
                vorbei geschafft?
Michelle   Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Helene     Wann haben wir uns bloss das 
               letzte Mal...
Michelle   Puh, das war... Mindestens...
Nicolas     12 Jahre.
Michelle    Auf Nick ist Verlass. Das war schon 
                immer so.
Helene      Er hat es lieber, wenn man ihn 
                Nicolas nennt.
Michelle    Ach so?
Helene      Stimmt doch, Nicolas?
Nicolas      Wie bitte?
(...)