Eigenleben

Musik hilft mir, den Figuren eine Stimme zu geben. Der Monolog von Helene, der hier zu lesen ist, ist als erstes entstanden. Um eine Gegenstimme von Nicolas zu finden, hilft mir die Musik von Asaf Avidan sehr weiter.

Fast so wichtig wie das Schreiben, ist das Zuhören. Ich verbringe viel Zeit damit, mir eine Liste von Musiktiteln zusammenzustellen und diese wieder und wieder anzuhören. Manche Musikstücke helfen mir, die Perspektiven von den Protagonisten zu erspüren. Manche helfen mir mit dem Rythmus oder den Übergängen. Das Schöne daran ist auch, dass ich mich auch dann mit dem Stück beschäftigen kann, wenn es meine Zeit eigentlich nicht erlaubt. Die Musik nimmt mich nicht kognitiv in Anspruch, sondern unterfüttert die Emotionen.

Helene 		Und dann kannst du plötzlich nicht mehr 
                        anders. Als ob alles Verständnis auf einmal 
                        aufgebraucht wäre. Du weisst selbst nicht, 
                        wie das sein kann. Wo ist deine Würde 
                        geblieben? Du siehst, dass all das, was du 
                        hingenommen hast, weil du dachtest, dass es 
                        schon werden wird, dass man Geduld 
                        braucht, dass es einen Sinn hat, das 
                        auszuhalten, dass das eine einzige Lüge war. 
                        Mehr noch. Dass die Luft zu knapp zum 
                        Atmen wird für zwei Menschen, die jeweils 
                       die Lufthoheit über den Raum beanspruchen, 
                       der einmal gemeinsam war. Der Misthaufen, 
                       der Sammlung oder Kunst oder Teil einer 
                       Installation genannt wurde, wird wieder zum 
                       Misthaufen. (...) Es kratzt dich im Hals. Du 
                       räusperst dich. Und dann passiert, womit du 
                      nicht gerechnet hast. Der andere schnappt 
                      nach dir. Wegen einem Räuspern. Mit Worten 
                      schnappt er nach dir. Du darfst dich nicht 
                      einmal Räuspern. Du willst beschwichtigen, zu 
                      lächerlich ist die Sachlage, aber deine Worte 
                      kommen lauter aus deinem Mund, als du es 
                      willst. Der andere schreit. Du schreist. Weil du 
                      nicht gehört wirst, weil es doch, verdammt 
                      noch mal, nicht um dem Misthaufen geht, 
                      sondern darum, dass du hier einfach 
                      unterlegen bist, dass du nicht ausreden 
                      kannst, dass du nicht die richtigen Worte 
                      findest, ja, die Worte, die du mühselig 
                      zusammengeklaubt hast, werden vom anderen 
                      in der Luft zerfetzt und es prasseln auf dich 
                      Wortsalven und du kommst gegen das 
                      Trommelfeuer der fremden Logik nicht an und 
                      findest in den eigenen Worten keine Deckung. 
                      Und dann schmeißt du etwas auf den Boden. 
                      Ein Zeichen nur, dein Widerstand, um nicht 
                      überrannt zu werden. Aber die Wortsalven 
                      werden heftiger. Du greifst den nächsten 
                      Gegenstand und schleuderst sie dem anderen 
                      an den Kopf. Knapp neben den Kopf. Du 
                      erwartest Ruhe, damit du dich endlich erklären 
                      kannst, aber stattdessen ist der andere zum 
                      Nahkampf übergegangen. Sein Mittel der Wahl 
                      ist ein Bajonett mit scharfer Lanze oben dran 
                      und damit rückt er dir auf den Leib. Du siehst 
                      die Klinge vor deinem Gesicht und rastest aus. 
                      Du wühlst dich durch alles, was du finden 
                      kannst, suchst Deckung, suchst Halt, Trost in 
                      dieser Unmöglichkeit, in der du doch 
                      eigentlich gar nicht sein kannst, aber der 
                      andere kennt dich zu gut, er hat deine Fährte 
                      gewittert, folgt dir auf dem Fuss, jeder Winkel 
                      ist nur ein Hinterhalt und du, du, du kannst 
                     nicht anders, du haust ihm das Bajonett aus der 
                     Hand und da kommst du zur Besinnung, weil 
                     deine Haut auf seine Haut trifft, aber da ist es 
                     zu spät. Du schwörst, dass es dir leid tut, dass 
                     du das nicht wolltest, aber du hast den 
                     Höllenhund im anderen geweckt und er springt 
                     dir entgegen und du hältst dir den eigenen 
                     Kopf, damit er in dieser Schlacht nicht davon 
                     getragen wird.